«Meine Mutter war nie eine gute Köchin»
Als Zehnjähriger übernahm Thies Henkel zu Hause die Küche. Jetzt macht der 30-Jährige im Lenkerhof Furore.
Die erste Tomatensauce
Dass er Koch werden würde, war Thies Henkel schon früh klar. «Schon als Zehnjähriger habe ich mich selbst in die Küche gestellt, um eine Tomatensauce zu kochen», erzählt der heute 30-Jährige. Unterstützung erhielt der frühreife Jungkoch von seinem Grossvater. Seine Eltern hätten als selbstständige Unternehmer viel mit er eigenen Firma zu tun gehabt, «und meine Mutter war nie eine gute Köchin», sagt Henkel.
Stolz der Eltern
Dass er das ausspricht, nimmt ihm keiner übel. Heute lacht die ganze Familie über diese Entwicklung, aber als es um die Berufswahl ging, war die Sache noch ernst. «Meine Eltern hätten es lieber gesehen, wenn ich in den Handelsbetrieb eingestiegen wäre. Heute sind sie stolz auf mich», so Henkel. Als Küchenchef im Restaurant Oh de Vie im Gourmet Spa Resort Lenkerhof im Simmental kann er sich «nichts anderes vorstellen als Koch zu sein», wie er sehr glaubwürdig erzählt.
Was ist eine eigene Handschrift?
Nicht einmal 16-Stunden-Tage in einem Hotel-Betrieb mit Sterne-Restaurant gleich nach der Lehre konnten Thies Henkels Leidenschaft für das Kochen etwas anhaben. Unter anderem beim legendären deutschen Starchef Heinz Winkler und als Sous-Chef beim jungen Kollegen Tohru Nakamura in München (Koch des Jahres 2020) lernte Henkel ganz unterschiedliche kulinarische Schulen kennen. «Eigentlich weiss ich gar nicht, was das bedeutet, wenn man bei Köchen von einer ‹eigenen Handschrift› spricht. Aber feststeht, dass es keines meiner Gerichte irgendwo sonst in einem Restaurant gibt», sagt Henkel und spricht damit ein Thema an, das viele junge Köche stark fordert: Erwartet wird ein eigener unverwechselbarer Stil. Doch den zu entwickeln, braucht Zeit.
Handwerk und Instinkt
Thies Henkel scheint sich dabei auf seinen Instinkt verlassen zu können – und auf eine sehr solide handwerkliche Basis. In der Küche wirkt der junge Mann äusserst sicher, perfekt organisiert und zielstrebig. «Die Basis für alles ist das Handwerk, aber der Schlüssel zum Erfolg ist, gut strukturiert zu sein. Zu Hause bin ich ein kleiner Chaot, aber in der Küche bin ich sehr effektiv», sagt der Rheinländer.
Liebe auf Distanz
Und zu Hause ist übrigens auch ziemlich weit weg. Während Thies Henkel im Berner Oberland für Furore sorgt, lebt seine Frau in München. «Dabei war sie es, die mich auf die Stelle aufmerksam gemacht hat», sagt er. Im Lenkerhof stimme das Umfeld, er könne sich frei entfalten, mit seinem Chef Stefan Lünse verstehe er sich ausgezeichnet, «und solange es zu Hause keinen Krach gibt, bleibe ich hier», sagt Henkel und lacht. Zwei, dreimal im Monat fährt er nach Hause zu seiner Frau, seine volle Konzentration aber gilt vorläufig seiner Arbeit.
Rotbarbe und Aubergine
Das überzeugende Resultat dieser Fokussierung sind Gerichte wie eine flüssig gebeizte und kurz gebratene Rotbarbe, die Thies Henkel auf geschmorte Thunfischbacken legt und mit einer Auberginen-Tapenade, etwas Kokosnuss, eingelegter Aubergine sowie einer Auberginen-Emulsion mit Basilikumöl kombiniert. Fischgerichte haben für den Koch einen besonderen Stellenwert, hier zeigt sich auch eine überzeugende Sicherheit, mit der er edle Meeresprodukte behandelt. Durch das Einlegen in eine Vierprozentige Lake mit wenig Essig verliert etwa der Rouget den oft etwas tranigen Geschmack, das Braten ergibt die knusprige Haut, danach wird der Fisch bei milder Hitze auf genau 41 Grad gegart.
Kraftvoll und herzhaft
Henkels Gerichte zeigen einen Koch, der selber gerne isst. Sie sind kraftvoll und herzhaft, gleichzeitig elegant und sehr gut gemacht. Zum Lammrücken mit einer knusprigen Kruste aus Kräutern und Tomaten sowie gleich zwei Saucen – Basilikum-Beurre-blanc und Lammjus –, gibt es einen so genannten Kärntner Raviolo: Er wird mit einem Ragout aus Tomaten und geschmorter Lammschulter gefüllt, dann frittiert und kommt etwas rustikal, aber voller Energie und Geschmack daher. «Viele Gäste fragen nach einem zweiten Raviolo», sagt Henkel lachend.
Entspannt und ambitioniert
Schon im ersten Jahr ist der konzentriert und gleichzeitig entspannt wirkende junge Koch mit 14 Punkten im GaultMillau gestartet, macht aber auf sympathisch-direkte Art auch gleich klar, dass er mehr Ambitionen hat: «Ich habe mir hohe Ziele gesetzt, bin aber überzeugt, dass ich sie erreichen kann.» Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Thies Henkel nicht das schaffen sollte, was er sich vorgenommen hat.